PILCH Hartmut 2017-06-26/26.1

Göttingischer Buddhismus

In China ist der Buddhismus nach zeitweiliger Unterdrückung auf Expansionskurs, wobei besonders das Ausland interessante Tätigkeitsfelder bietet. In Göttingen fanden verschiedene Interessen gestern zusamen. Ich dolmetschte.

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Buddhismuswoche in Göttingen

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Figure 1.1: Schild am Göttinger Hauptbahnhof

In Alexander Puschkins Versroman Eugen Onegin trifft der abgebrühte Held auf den jungen Idealisten Wladimir Lenski, der mit “göttingischer Seele” überall das Gute und Schöne besingt. Göttingen stand damals für Kant und Goethe. Ob Reinhard Lauer es mit “Aufklärung, Menschenrechte und deutsche Philosophie” richtig trifft, sei dahingestellt, da zumindest der Begriff “Menschenrechte” erst viel später als “letzte Utopie” (Moyn), d.h. Platzhalter ideologischen Vakuums, Bedeutung gewann. Gemeinsam hat auch diese Ideologie mit den anderen die Fähigkeit, naive Menschen wie den jugendlichen Lenski zu selbstmörderischem Kitsch zu verführen.

Majestäten und Hochwürden aus ganz Ost- und Südasien überbrachten gestern ihre Glückwünsche nach Göttingen, wo eine Buddhismuswoche statt findet und ein Buddhismus-Forschungszentrum gegründet wird. In Katlenburg-Lindau wurde gerade ein Tempel eingeweiht, der sich nach dem Sechsten Patriarchen Liuzu beruft, durch dessen Wirken der Buddhismus in China vor 1500 Jahren heimisch wurde. Dabei entwickelte er Lehren und Geschäftsmodelle, die seinen spektakulären Wiederaufstieg nach einer Phase kommunistischer Unterdrückung (vor allem 1966-76) ermöglichten. Anders als etwa der Islam fällt der Buddhismus nirgends mit der Tür ins Haus. Ähnlich wie seinerzeit das Christentum in China versucht er auch bewusst, erst einmal durch intellektuelle Angebote Wohlwollen zu erzeugen. Der Dialog zwischen Zen-Buddhismus und Philosophen wie Heidegger und Husserl in den 30er Jahren oder einer Reihe von Denkern seit dem 18. Jahrhundert steht weiterhin in Vordergrund. Es gibt zahlreiche religionslose Versionen buddhistischer Lehren. Der Buddhismus rechnet mit Misstrauen, denn letztlich ist auch er ein auf Selbstverbreitung ausgelegtes kollektives System (Mem). Die Kommunistische Partei Chinas betrachtet dergleichen immer noch ein wenig argwöhnisch. Vielfältigen intellektuellen und wohltätigen Einsatz findet sie löblich, aber sie lässt im Inland den Ruhm nicht in dem Maße dem Buddhismus zugute kommen, wie der es gerne hätte. Umso interessanter ist für den finanziell gut aufgestellten buddhistischen Klerus nunmehr das Mitwirken bei der Auslandsinvestitionsstrategie “Ein Gürtel eine Straße”. Schon in der letzten Dynastie (1644-1911) half der Buddhismus bei der Integration von fünf Nationen in ein Großreich und weiteren in dessen Vasallenzone. Eine ähnliche Zone versammelte sich in Göttingen und sang zum Schluss Sutren im Stil des Großen und Kleinen Fahrzeugs so wie des Lamaismus.

Dazu hielten hohe bildungspolitische Funktionsträgerinnen des Gastlandes die unreligiösen Reden, die das Ostasien-Institut ihnen vorbereitet hatte, und werteten dieses zu einem europäischen Kompetenzzentrum auf. Diesem Zentrum wird nun auch buddhistisches Geld zufließen. Vom chinesischen Bildungsministerium gibt es ohnehin schon Förderung in Form von 2 Hanban-Professuren.

Das “Orchideenfach Sinologie” aus Elias Canettis Roman “Verblendung” ist wohl bereits in den 1980er und 90er Jahren ausgestorben. Stattdessen wird heute in politisch korrekter Marketingterminologie geredet. Es geht darum, “interdisziplinär” möglichst viele “Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler” für den wachsenden chinesischen Einfluss fit zu machen, um den “Verwerfungen” der Globalisierung zu begegnen (und verbleibende Hindernisse auf dem Weg zur vielfältigen Welteinheitskultur zu beseitigen), und dabei gegenüber den USA aufzuholen, wo Statistiken eine hohe China-Kompetenz nachweisen, die sich auch durchaus in Publikationen vieler Fachgebiete wiederspiegelt. Bei allem Globalismus bleibt es aber politisch wichtig, die japanische Aussprache “Zen” des Schriftzeichens “禪” durch dessen Mandarin-Aussprache “Chan” zu ersetzen. Die Sanskrit-Form “Dhyana” kam nicht vor. Wenn der Buddhismus tatsächlich erneut ein politischer Kristallisationskern wie der Islam würde, würde sich die Frage des sprachlichen Kerns akut stellen. Der Islam ist ja letztlich die Ideologie eines arabischen Imperiums, und wer tiefer in ihn einsteigt, arabisiert sich. Was aber sprechen Menschen, die sich in buddhistische Liturgie vertiefen? Sanskrit wird ja nirgends mehr gesprochen und auf dem Subkontinent gibt es nur noch Sri Lanka als Heimatland des Buddhismus. Ist also inzwischen China das Kernland? Deutlich wurde jedenfalls, dass mit dem gefeierten Sechsten Patriarchen tatsächlich ein chinesischer Kern entstand.

Bei den Feierlichkeiten durfte ich einen Nachmittag lang simultandolmetschen. Ich war auch dank Mitwirkung der in Göttingen lehrenden Kollegin Wei Ling gut vorbereitet und in meinem Element. Etwas schwierig wurde es nur mal kurz als in der Diskussion ein Mönch in tiefem Shandong-Dialekt esoterische Lehren erklärte, von denen er selbst sagte, dass kaum einer sie versteht, was auch zutraf und vom Moderator bemerkt wurde. Wie es sich für ein europäisches China-Kompetenzzentrum gehört, wartete das Institut auch mit Moderatoren auf, die Chinesisch auf hohem Niveau praktizieren.

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Figure 1.2: Rummel in der Aula am Wilhelmsplatz in Göttingen nach Ende der Veranstaltung

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© 2017-06-27 Hartmut PILCH