Diesen Monat haben wir mal wieder im Auftrag gegen geringes Honorar allerlei Visitenkarten ‘übersetzt’. Letztlich wird dabei die Aufgabe falsch gestellt. Dennoch müssen wir sie lösen, auch wenn uns für textlinguistische Doktorarbeiten kein Kunde bezahlt. |
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1 Beispiellieferung “Bürowelten voll Fanatasie”Folgendes lieferten wir einer Übersetzungsagentur. Zunächst rückten wir durch einen belehrenden Vorspann die Erwartungen des Kunden ein wenig zurecht:
Hoffentlich haben wir damit die Grenze des Zumutbaren noch nicht überschritten. Dann lieferten wir eine Gegenüberstellung
2 Illustration und Ritual, nicht ÜbersetzungWie man hier sieht, geht es bei der Visitenkarte fast überhaupt nicht darum, etwas zu übersetzen. Vielmehr besteht ihre wesentliche Funktion darin, die in der Orginal-Visitenkarte enthaltene Information noch einmal zu verpacken und dadurch für den Rezipienten transparenter und eingängiger zu machen (Illustrationsfunktion). In zweiter Linie lässt man Visitenkarten übersetzen, um zu signalisieren, dass man die Kultur des Gegenübers schätzt, gerne damit spielt und sich gerne damit schmückt (rituelle/ästhetische/dekorative Funktion). Wir verpacken die Bedeutungen des Originals ein zweites mal in einem für das japanische Zielpublikum leichter verstehbaren Idiom. Dennoch bleibt die ursprüngliche Verpackungsform die maßgebliche. Denn eine Visitenkarte transportiert im wesentlichen nicht Bedeutungen sondern Zeichen. Es kommt weniger darauf an, welches Haus mit der Adresse bezeichnet wird, als wie sie zu schreiben ist (damit der Postbote das Haus findet). Daher sind Visitenkarten nicht im strengen Sinne übersetzbar. 3 Beispiellieferung MuseumsdirektorHier ein weiteres Beispiel einer gelieferten Visitenkartenvorlage:
Gegenüber
4 Von der informatischen Barbarei zur systematischen IdentitätspflegeUnsere Arbeit wird dadurch verkompliziert, dass oftmals die vermittelnden Agenturen noch weniger Gespür für die Regeln der automatischen Datenverarbeitung als für die der natürlichen Sprache haben. So wird von uns z.B. in sinnwidriger Weise verlangt, eine Vorlage in MSWord oder Excel zu liefern. Microsoft macht es den Kunden nicht leicht: typischerweise ist als Editor für Textdateien eine Version von Wordpad eingestellt, die beim Laden von Textdateien nicht nach der Kodierung fragt. Hier hilft es manchmal, wenn man Textdateien in utf-16-le kodiert. Doch letztlich sollten Agenturen, die sich in die unterschätzten und unterbezahlten Kunst der Erstellung von Visitenkarten einmischen, die Grundbegriffe der Texkodierungen verstehen und sich nicht darauf verlassen, dass Microsoft für sie die Probleme gelöst hat. Der Drucksetzer braucht letztlich formbare rohe Textblöcke, wie sie nur in Form von schlichtem Text geliefert werden können, und wenn eine gute Visitenkarte herauskommen soll, ist noch ein weiterer Zyklus von Prüfungen notwendig, bei dem immer wieder korrigierte Vorlagen geliefert werden müssen. Man kann übrigens auch die Drucksatzarbeit bei uns in Auftrag geben. Letztlich gehören aber Visitenkarten in einen größeren Kontext der Identitätspflege. Identitätspflege ist letztlich Chefsache. Der Chef oder sein Vertrauter kann mit den Details des “Japan-Sekretariats” einen externen Sprachendienst beauftragen. Egal ob intern oder extern, der Chef muss sich der ganzen Problematik der Mehrsprachigkeit bewusst sein und dafür sorgen, dass alle mit seiner Unternehmensidentität zusammenhängenden Daten auffindbar bereit gehalten werden. 5 Weitere Lektüre |