Notierenswertes am 16. Juli 2012

Hartmuts Betabloggereien des Tages
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Wenn meine dazu gehörigen Betaprogrammierereien weit genug kommen, könnte hieraus einmal der Materialeingang für eine mehrsprachige Wissensfabrik zu einigen Themen werden, die mich interessieren.

gestern

Angela Merkels Schamkultur

Angela Merkel will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt wird, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben könnten. “Wir machen uns ja sonst zur Komikernation”, so Merkel nach Aussage eines Zeugen. Es würde zu meinem Bild von Angela Merkel passen. Sie orientiert sich im wesentlichen an der Meinung anderer, ihrem Empfinden nach wichtiger Leute. Kohärenz ist für sie kaum von Bedeutung. Ihr Denken ist trotz Physikstudium und fleißiger Dossierlektüre auf der Stufe einer Schamkultur stehen geblieben. Daraus erklärt sich vielleicht auch ihr Spitzname “Mutti”. In der Politik gibt es schlimmeres. Das Schamgefühl liefert oft verlässlichere Hinweise als regelbasiertes rationales Denken.

Zunehmende chinesische Kompetenz in Bahn- und Tunnelbau

In diesen Tagen dolmetsche ich für Schweizer Unternehmen, die ihre Tunnelbau-Expertise in China versilbern. Allerdings wird der Bereich, in dem sie einen Erfahrungsvorsprung haben, immer dünner, und umgekehrt erhalten chinesische Bauunternehmen in der Schweiz bei Ausschreibungen den Zuschlag.

Das Mittagessen fand in einer alten Fabrikhalle statt, wo bis in die 90er Jahre noch Schiffsturbinen hergestellt wurden. Auf die Frage, ob die Produktion jetzt zum Stadtrand abgewandert sei, antwortete der Schweizer Partner: “Schön wär’s, aber ich befürchte, die ist zu Euch nach China abgewandert.” In der Ostschweiz stellt Sulzer noch immer ein paar Turbinen her, und bei Basel gibt es noch ein wenig Pharmazie. Immerhin ist die Uhrenproduktion der Schweiz letztes Jahr um 14% gewachsen. Diese Uhren werden in Luzern zu einem wesentlichen Teil in chinesischer Sprache verkauft. Ansonsten gibt es auch immer mehr Hauptquartiere globaler Konzerne, die nach Zürich und Zug ziehen, weil es sich hier gut lebt und relativ wenig Steuern zu entrichten sind.

China hat in wenigen Jahren über 100.000 km Hochgeschwindigkeitszugstrecken (meist 350 km/h, teilweise 250 km/h) gebaut und 10.000 km Bergtunnel gebohrt. Der neue Gotthardt-Basistunnel (聖格達基線隧道) wird allerdings doppelt so lang wie der bislang längste chinesische Tunnel. Letzterer liegt in der Provinz Qinghai auf der Strecke nach Lhasa. Die chinesischen Baugeschwindigkeiten sind weltrekordverdächtig und für Europäer unvorstellbar. Auch technisch glauben die Chinesen, in einigen Bereichen eine weltweite Führerschaftsrolle erreicht zu haben. Dies gilt besonders für Möglichkeiten der Systemintegration, durch die auch Kosten gesenkt werden. Im Baubereich lassen sich die Vorzüge der Landesgröße ausspielen. Es ist einer der Bereiche, wo das Großraum-Narrativ, mit dem uns Politiker wie vor ein paar Tagen Romano Prodi den europäischen Einheitsstaat schmackhaft machen wollen, eine gewisse sachliche Grundlage erträumen lassen könnten. Leider würde aber auch eine entsprechende Eisenbahnbaupolitik der Vereinigten Staaten von Europa aber an den Kosten und Verfahrenskomplexitäten scheitern.

Im Hotelzimmer gibt es das chinesische Staatsfernsehen CCTV4. Fuer Sinologen ist das selbstverständlich 100 mal interessanter als unser Staatsfernsehen. Ich glaube aber auch, dass es bei neutraler Betrachtung um einiges besser abschneiden muss. Was aber auch für BBC, France24, NHK und andere gilt.

Bewährungsstrafe für “Totschlag” des eigenen Babys

Zu Zeiten von Faust und Gretchen stand darauf die Todesstrafe. Umgekehrt argumentieren einzelne Ethikprofessoren für ein Recht auf eine Art Abtreibung kurz nach der Geburt. Das Argument, es habe sich nicht um Mord sondern um Totschlag, also nicht um Vorsatz sondern Affekt gehandelt, erscheint jedoch vorgeschoben. Die Richter sehen vermutlich einfach keinen Bedarf, dieser jungen Mutter ihre Zukunft zu verbauen. Auch von Gretchen ging vermutlich keine Gefahr für die Gesellschaft aus. Ihr Tod diente nur der Abschreckung Anderer. Doch was bringt weitere Abschreckung, wenn die Tat an sich, die die Kindesmörderin begeht, schon ihre eigene Strafe ist? Was bleibt, ist die symbolische Bekräftigung einer Regel.

Soll man aber Menschen schädigen, nur um Regeln glaubwürdiger propagieren zu können? Die normative Kraft des Faktischen ist immerhin nicht zu unterschätzen. Nach und nach könnte nun, angefangen von Fällen verzweifelter Jungmütter, das Elternrecht über Leben und Tod entstehen, das jenen Ethikprofessoren vorschwebt. All dies geschieht in einer Zeit, in der in der das Recht der die Elternrechte anderswo gegenüber dem Recht des Kindes auf körperlichen Unversehrtheit immer weiter zurücktreten, s. Beschneidungsurteil und Prügelverbot. Eine systematische Klärung der Grenzen der verschiedenen Rechtsgüter wäre der Glaubwürdigkeit unseres Normensystems förderlich. Stattdesssen werden wir jedoch wohl mit einem Schamkultur-Flickwerk Vorlieb nehmen müssen.


morgen

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