Notierenswertes am 19. Juni 2012

Fritten-Kaizen in einem bayerischen Dorf
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Der Meister war heute lockerer als bei früher, machte allerlei Witze über Kultur- und Geschlechterunterschiede. An Lacherfolgen fehlte es nicht.

Heute dolmetsche ich für einen japanischen Kaizen-Berater, der den Produzenten verpackter Pommes-Frites die Produktionsmethodik von Toyota beibringt.

Das tue ich seit Jahren dort 1-2 mal pro Jahr, und jedes Mal mache ich mich mit der Methodik ein Stück vertrauter. Diese Arbeit ist sehr anspruchsvoll, da die Autorität des Beraters nicht unter wackeligem Dolmetschen leiden darf.

Am Abend geht es weiter zu einer Chemiekonferenz am Rande der Chemie-Messe Achema in Frankfurt, wo ich dann chinesisch-englisch dolmetsche.

Die Fahrt begann morgens um halb sechs, Arbeitsantritt im Besprechungsraum des Werkes um acht.

Der Meister war lockerer als früher, machte allerlei Witze über Kultur- und Geschlechterunterschiede. An Lacherfolgen fehlte es nicht.

Eine Palettiermaschine boxte im Rhythmus die Luft aus den darauf gelegten Säcken. Typisch deutsch, meinte der Meister. So hart nehmen die Deutschen ja auch bekanntlich ihre Frauen ran. In Japan bevorzuge man aber weicheres Vorgehen.

Immer wieder betonte er, dass er gewisse Werte hierzulande nicht betonen müsse. Van manchen guten Dinge wie Reinigen tue man hierzulande eher zu viel. Darüber eine gezwungenermaßen wackelige Maschine in dem Werk toleriert wurde, zeigte er sich überrascht.

Er mahnte auch immer wieder zur Pflege verfallender Kulturtechniken, allen voran des händischen Malens aber auch des Pfeifens mit dem Mund an. Letzteres könnten die arabischen Wirtschaftskapitäne besonders gut.

Dabei hat der Meister die japanischen Meister der Computerspiele, für die ich kürzlich dolmetschen durfte, auf seiner Seite.

Ein technischer Leiter argumentierte immer gegen kostspielige Visualisierungsforderungen. Der Meister meinte, zum Homo Digitalis hätten es bisher nur überlegene Geister wie dieser Leiter und seine Vorgesetzten gebracht. Die Normalsterblichen im Werk dächten hingegen noch analog und würden umso mehr Fortschritte machen, je mehr die Kommunikation hierauf Rücksicht nehme.

Dass das deutsche Führungspersonal schon vorzeitig digitalisiert sei, beklagte der Meister immer wieder. Die Generation, die Sachverhalte gut visualisieren könne, drohe aber auch in Japan auszusterben, obwohl dies mehr denn je gebraucht werde.

Unser Meister kommt immer seltener nach Europa und dafür immer häufiger nach China und Südostasien. Dies spiegelt die Entwicklungstendenzen der Industrie-Investitionen wieder.

In Japan und einigen weitern Ländern, die der Meister häufig bereist, gibt es firmeninterne “Meister-Systeme”, durch die die Weitergabe von Wissen im Unternehmen gefördert werde.

Der heute besuchte Frittenbetrieb hat eine sehr gute Instandhaltungabteilung, in der auch Meister arbeiten, aber er hat kein “Meistersystem”. Es wurde eingewandt, dass ein solcher nicht etabliert werden könne, da das Wort “Meister” in Deutschland rechtlich geschützt sei. Dann sollte man eben ein anderes Wort wählen, etwa einen “hausinternen Meister”, meinte der Meister, und flugs schlug jemand die Bezeichnung “Hausmeister” vor.

Anfang dieses Jahres fand eine kurzfristig anberaumte Tagessitzung mit dem Kaizen-Meister statt, in der man sich auf Englisch verständigte, da ich bereits anderweitig verplant war.

Einen anderen Dolmetscher wollte man damals nicht einsetzen, da vorherige Erfahrungen nicht sehr gut waren. Eine in Bayern wohnende Japanerin, mit der man es versucht hatte, war so langsam, dass man im Effekt dann doch über Englisch gearbeitet hatte.

Hier zeigt sich sehr deutlich, dass heutige Dolmetscher nicht so sehr gegen andere Dolmetscher wie gegen die englische Sprache konkurrieren. Sie müssen besseres liefern als was mit englischsprachiger Verständigung möglich wäre. Schaffen sie das nicht, verlieren sie ihr Geschäft und zerstören womöglich den Dolmetschmarkt. Das Dolmetschen ist eine immer prekärere Akrobatik-Übung.

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© 2006-02-19 Hartmut PILCH