Fischer: Europa braucht Eurobonds

Corriere-Interview: Deutschland darf Europa nicht ein drittes mal zerstören

Der ehemalige Außenminister vertritt noch einmal die Standpunkte, gegen die Sarrazin argumentiert. Demnach ist es jetzt dringend erforderlich, durch Zusammenlegung der nationalen Parlamente innerhalb kurzer Zeit den neuen Euro-Nationalstaat zu gründen, der Euro-Schuldscheine mit einer zentral gelenkten Disziplin verbindet. Ansonsten drohe ein Renationalisierungs-Harmageddon.

Joschka Fischer: Europa braucht den Euro, Eurobond-Verweigerung durch Deutschland wäre dritte Zerstörung Europas

Deutschland darf Europa nicht ein drittes Mal zerstören, mahnt Joschka Fischer im Corriere-Interview. Entweder schnelle EU-Staatengründung innerhalb weniger Monate mit Eurobonds als Vehikel oder Renationalisierungs-Harmageddon. Auch an Griechenland müsse man festhalten.

Fischers Logik kann ich gut verstehen. Er legt das ja mit einer gewissen Stringenz nicht zum ersten Mal dar, und ähnliches schreiben viele Andere. Kaum verständlich waren hingegen die Reaktionen der meisten Lohnschreiber auf Thilo Sarrazin, dem vorgeworfen wird, künstliche Zusammenhänge geschaffen zu haben. Dabei hat er sein Buch offenbar genau als Antithese zu Fischer konzipiert, der wiederum eine vorherrschende Meinung vertritt.

Fischer will Deutschland als Provinz Europas sehen. Diesem Europa-Projekt gegenüber zeigt er so etwas wie Loyalität und sogar einen mit Feindbildern bewehrten Patriotismus. So warnt er in dem Artikel, dass ein Griechenland mit eigener Währung in eine russische Einflusssphäre abrutschen würde.

Fischer sieht seine europäistische Position allerdings geschwächt. Unter den derzeitigen Staatschefs sieht er nur noch bei Monti die klare politische Vision, die Disziplin mit dem Interessen des Ganzen verbindet.

Ich will mal versuchen, ein paar Exzerpte zu übersetzen und, so weit nötig, zu kommentieren. Bitte schaut bald wieder vorbei.

Exzerpte

Zwei mal im 20sten Jahrhundert hat Deutschland mit militärischen Mitteln sich selber und die europäische Ordnung zerstört. Dann hat es das Abendland davon überzeugt, dass es daraus die richtigen Lehren gezogen habe: nur indem wir uns die europäische Integration vorbehaltlos zu eigen machten, konnten wir die Zustimmung zu unserer Wiedervereinigung erwerben. Es wäre eine tragische Ironie, wenn das wiedervereinte Deutschland mit friedlichen Mitteln und den besten Absichten ein weiteres Mal die Zerstörung der europäischen Ordnung verursachen würde. Aber genau das ist es, was auf dem Spiel steht.

Entweder fällt der Euro und und die Renationalisierung kommt und die Europäische Union desintegriert sich, was zu einer dramatischen Weltwirtschaftskrise führen würde, wie unsere Generation sie nie erlebt hat. Oder aber die Europäer schreiten voran zur Fiskalischen und Politischen Union in der Eurogruppe. Die Regierungen und Völker der Mitgliedsstaaten können das Gewicht der Austerität ohne Wachstum nicht mehr ertragen. Und wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich rede von Wochen oder vielleicht wenigen Monaten.

Der Euro ist ein politisches Projekt. Anfang der 90er Jahre gab es durchaus keinen Bedarf nach einer gemeionsamen Währung. Sinn und Zweck der gemeinsamen Währung war es, dass sie eine Antriebskraft für die politische Integration darstellen sollte. Niemand kann heute garantieren, dass wenn Griechenland den Euro aufgibt sich nicht ein Zusammenbruch des Vertrauens einstellt, der zu einem Ansturm auf die Banken in Spanien, Italien und wahrscheinlich auch Frankreich führen würde, d.h. dass eine Finanzlawine Europa unter sich begraben würde.

Zweitens, was glauben Sie würden die Griechen tun, wenn sie erst mal draußen sind? Sie würden sich andere Partner suchen, wie zum Beispiel Russland, das bereits bereit steht, ohne dass jemand darüber redet. Wir würden Ade zur Vergrößerung in Richtung Südosten sagen, die europäische Integration des Balkans wäre am Ende. Ein Irrsinn: während man zur Europa-Berufung der Türkei geteilter Meinung sein kann, besteht kein Zweifel daran, dass der Balkan, eine intrinsisch instabile Region, zu Europa gehört. Dabei ist noch nicht einmal in Rechnung gestellt, dass ein Griechenland außerhalb des Euro im Chaos versinken würde.

Die Eurobonds sind einer der nächsten zu vollziehenden Schritte. Die Lösung hat vier Bestandteile: Politische und Fiskalische Union der Eurogruppe, Wachstum und Strukturreformen. Ich bin derzeit voller Bewunderung dafür, dass Italien seinene Überlebensinstinkte mobilisieren und die Regierung Monti ins Leben rufen konnte, die gut arbeitet.

Hollande hingegen lässt mich ratlos. Sein Engagement für das Wachstum schätze ich, aber er will zurück zur Pensionierung mit 60 Jahren. Keiner der Bestandteile darf vernachlässigt oder verwässert werden, sie müssen zusammen gehen, wenn Europa wirklich seine Existenzkrise überwinden will.

Corriere: Und wie dürften sich die Ereignisse entfalten, was wäre der allererste Schritt?

Fischer: Die Europäisierung der Schulden. Das Problem, hier hat Deutschland Recht, liegt darin, zu vermeiden, deass danach die Sturkturreformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eingestellt oder vernachlässigt werden. Es geht nicht darum, die gesamten Schulden zu europäisieren, da liegen sehr interessante Vorschläge auf dem Tisch. Wesentlich ist, dass Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft und seinen Ressourcen für das Überleben der Eurozone gerade stehen muss.

Man wird sagen müssen: wir sind eine Fiskalunion, wir bleiben zusammen. Es wird schwer sein, die Märkte werden ihre Wertung abgeben, die Ratingagenturen werden wahrscheinlich Deutschland sein AAA wegnehmen, aber wir werden durchhalten müssen, und um dies zu tun, brauchen wir die politische Union.

Und hier muss Frankreich Ja zu einer gemeinsamen Regierung mit parlamentarischer Kontrolle der Eurozone sagen.

Was auf dem Spiel steht: die globale Rolle Europas im 21sten Jahrhundert. Wollen wir eine spielen? Nur gemeinsam können wir etwas über unsere Zukunft sagen und dabei gehört werden.

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© 2006-02-19 Hartmut PILCH