Englisch und Italienisch für die bedeutendsten Automobile

Warum der Homo Davosiensis keine Kopfhörer trägt

Automobildesign sei auf dem Weg ins Museum, meinten die Prominenten auf der Bühne, aber künftige Industrien werden sich für die Lehren des guten Geschmacks interessieren. Ein Meister des Designs sprach auf der Bühne Italienisch und wurde doppelt gedolmetscht, weil das Weltvolk sich die Welt vereinfachen möchte.

Automobil wird Kunstgeschichte

In Basel wird in diesen Tagen eine Kunstausstellung eröffnet, auf der die 100 bedeutendsten Automobile präsentiert werden. Die Epoche des Automobils gehe ihrem Ende entgegen. Die ästhetischen Ambitionen der letzten 100 Jahre hätten sich auf das Automobil fokussiert. Daraus beziehe die Automobilgeschichte für die Nachwelt eine große Bedeutung. An ihr könne man den guten Geschmack schulen, sagte der hochbetagte italienische Design-Guru Giorgetto Giurgiaro auf Italienisch.

Zur Vernissage sollte ich mit einer erfahrenen Kollegin zwischen Englisch und Deutsch dolmetschen. In einer weiteren Kabine sollte zwischen Englisch und Italienisch gedolmetscht.

Englischsprecher bloß nicht mit Vielsprachigkeit behelligen

Doch in letzter Minute wurde umdisponiert. Für die Sprachrichtungen Deutsch-Englisch und Italienisch-Englisch waren nicht einmal mehr Kanäle vorgesehen. Es sollte ausgeschlossen sein, dass jemand, der Englisch versteht, in die Verlegenheit kommen muss, einen Kopfhörer zu tragen. Auf diese Weise wollte man vielleicht die Zahl der Kopfhörer einschränken. Oder man wollte den englischsprechenden Gästen auf der Bühne die Komplikationen der sprachichen Vielfalt ersparen. Dergleichen kommt im Konferenzgewerbe oft vor. Die Vielsprachigkeit wird zum fünften Rad am Wagen, das man möglichst weit aus dem Gesichtsfeld verdrängt, auch wenn man in seinem Veranstaltungsprogramm die Werte der “Interkulturalität” anpreist. Man geht davon aus, dass die sprachberechtigte Elite Englisch spricht. Den anderen bietet man übergangsweise noch Hilfsmittel an. Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn mal ein Star-Gast doch kein Englisch spricht. Für Guru Giurgiaro musste ein anderer Star-Gast auf der Bühne in beide Richtungen konsekutiv dolmetschen, obwohl ein Simultandolmetschdienst bereit stand. Dadurch ging viel von der knapp kalkulierten Zeit verloren.

In normalen Fällen hätte es für Guru Giurgiaro gar keinen Dolmetschdienst jenseits der Bühne gegeben. Wir vier Dolmetscher hätten einfach nur das wiedergegeben, was sein Kollege auf der Bühne auf Englisch wiedergab. Aber wider Erwarten konnten wir alle vier auch Italienisch dolmetschen, so dass zunächst Simultandolmetschen vom Italienischen ins Deutsche gegeben war. In der Schweiz müsse man einfach Italienisch können, erklärte mir meine Schweizer Kollegin dazu, und unsere Agentur hatte uns vorsichtshalber entsprechend ausgesucht. Auch ich kann die drei großen Schweizer Sprachen gut genug dolmetschen, auch wenn ich mich nicht regelmäßig Auftäge in allen dreien bewerbe. Nach einiger Zeit lieferten die Techniker dem Guru einen Kopfhörer, so dass er die englischen Reden simultan auf Italienisch verfolgen konnte. Auch die umgekehrte Richtung Italienisch-Englisch wurde wieder bereit gestellt, aber nicht genutzt. Es ist wohl schwierig, dem anglophonen VIP einen Kopfhörer zuzumuten. Für Guru Giurgiaro ist das hingegen kein Problem. Wer nicht Englisch versteht, ist froh, einen Kopfhörer zu bekommen. Wer es versteht, erwartet hingegen, dass seine Mitmenschen ihn auf Englisch ansprechen, und darauf hat sich der Konferenzbetrieb eingestellt.

Homo Davosiensis will homogenes Weltvolk

Die Erwartung, die ganze Welt auf Englisch wahrnehmen und regeln zu können, scheint zur Nationalkultur des Homo Davosiensis (“Davos Man”, wie Samuel Huntington in “Zusammenprall der Kulturen” schreibt) zu gehören. Man ist zwar für die Existenz von anderen Nationalkulturen offen und bietet diesen übergangsweise alle nötige Unterstützung. Aber er gibt ihm gerne zu verstehen, dass er es sich nur um überkommene Strukturen (legacy) handelt, aus denen man aussteigen möchte. Eine Welt, in der nur die Existenz von Völkern und Territorien universell ist und das andere von diesen souverän für sich geregelt wird, ist dem Homo Davosiensis zu kompliziert. Der Homo Davosiensis (Weltbürger) ist ein gnadenloser Vereinfacher. Darin unterscheidet er sich nicht von den überkommenen nationalen Vereinfachern, die er gerne Populisten nennt. Er hat sich über den Völkern sein eigenes Weltvolk gebaut und mit starken Autoritäten unterfüttert, auf die er sich gerne beruft. Faszinierende Einblicke in die Welt des Homo Davosiensis lieferte neulich der ehemalige IWF-Generalsekretär Michel Camdessus. Die Abgehobenheit von Camdessus fällt inzwischen auf, weil die globalen Autoritäten, die er an die Stelle von Argumenten setzt, heute viel von ihrem Prestige eingebüßt haben. Michel Camdessus ist vielleicht auch ähnlich wie unser Guru Giorgetto Giurgiaro ein Spätausläufer einer Nationalkultur.

Giurgiaro ist sicherlich stärker in Italien als in Davos verankert, und auch die anderen Automobil-Ästheten auf der Bühne sind keine UNO-Hofschranzen, aber die Davoskultur scheint in Basel mitgewirkt zu haben, sei es über die Dolmetschdienstleister, die sich danach richten, oder über die Veranstalter selber. Wir brauchen künftig mehr selbstbewusste Dolmetschdienstleister, die dem Kunden klar machen, dass Multilingualität gleichermaßen in alle Richtungen geht. Man kann dies auch dadurch unterstützen, dass man die Eröffnungsrede bewusst nicht auf Englisch sondern in der Sprache des Ortes hält. So praktizierte es schon mein neulich verstorbener Vater, als er in Freiburg 1982 die Weltkonferenz der SILF (Société Internationale de Linguistique Fonctionelle) eröffnete. Bei anderen Konferenzen lädt man Lokalpolitiker ein, die eine Eröffnungsansprache z.B. auf Deutsch halten. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass sich die Englischsprecher gleich zu Anfang mit Kopfhörern ausrüsten. Bei einer Konferenz der Weltbank in Köln, die ich dolmetschen durfte, kam es zu Schwierigkeiten, als ein Marokkaner sich der Amtssprache Französisch bediente, für die ja auch Dolmetscher bestellt waren. Die Schwierigkeit hätte vermieden werden können, wenn die französischstämmige Moderatorin ihr Einleitungsreferat ebenfalls auf Französisch gehalten hätte. Eine gut begründete Sitte derer, die sich über die Zweigliedrigkeit (doppelte Artikulation der Sprache und des Gemeinwesens, double articulation linguistique et politique: Sprache aus Wörtern aus Lauten; Welt aus Völkern aus Bürgern) und darin begründete Vielfalt der Welt freuen, wird in den letzten Jahrzehnten zunehmend den Simplifizierungs- und Homogenisierungswünschen der Weltvölkischen geopfert, für die “Ethnopluralismus” ein böses Wort ist, weil sie nur mit Eingliedrigkeit (Welt aus Bürgern) umgehen können oder wollen.

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